AG Stolpersteine

Für jeden Menschen, für den ein Stolperstein verlegt werden soll, weil er oder sie durch die Nazis verfolgt, gedemütigt, entrechtet, getötet wurde, muss zunächst Folgendes erarbeitet werden:

  1. Eine Kurzbiografie mit genauen Quellenangaben gegen alle Zweifel,
  2. Die letzte frei gewählte Wohnadresse,
  3. Die genaue Inschrift für den Stolperstein,
  4. Möglichst ein Kontakt zu Angehörigen des NS-Opfers und deren Einwilligung für diese öffentliche Verlegung,
  5. Die Deckung der Kosten für Herstellung und Verlegung.

Um diese fünf Punkte kümmert sich die AG Stolpersteine für Verfolgte des NS-Regimes, deren letzte frei gewählte Wohnung auf unserem Kirchgemeindegebiet lag. Dazu recherchieren wir in Kirchenbüchern, in Bibliotheken, im Internet und sprechen mit Zeitzeugen. Oft braucht es lange, ehe man Spuren des Lebens findet, von dem man wenig mehr als das Deportations- und Todesdatum kennt.

Erst, wenn diese Vorarbeiten auf gutem Wege sind, kann die Verlegung des Stolpersteins ins Rollen kommen. Dafür halten wir Kontakt zu dem Verein „Stolpersteine für Dresden e. V.“ (http://stolpersteine-dresden.de/verein/) Dieser organisiert die Herstellung und die Verlegung in Dresden aller 1 bis 2 Jahre.

Dazu gehört

  • Die Bestellung der Stolpersteine bei Gunter Demnig und eine Terminvereinbarung mit ihm für die Verlegung,
  • Absprachen mit dem Dresdner Tiefbauamt über die Arbeiten am jeweiligen Gehweg,
  • Die Organisation des Ablaufs am geplanten Termin:

    • Erarbeiten der Route für das technische Team mit dem Künstler, die etwa eine halbe Stunde je Verlegeort zu tun haben,
    • Zusammenstellen von zwei Teams, welche die etwa einstündigen Gedenkfeiern bei den Verlegungen begleiten,
    • Organisation eine kleine Musikgruppe je Team, Tontechnik für Musik und RednerInnen, Blumen zum Schmücken der Gedenkstätten.
  • Oft sind es so viele Stolpersteine, dass ein Tag nicht ausreicht. Für den Abend des letzten Tages wird eine Gedenkveranstaltung vorbereitet, wo all der Menschen noch einmal gedacht wird, wo Fotos und Lebensdaten in einer Diashow gezeigt und wo durch die Angehörigen der Opfer oder die Initiatoren der Stolpersteine sehr berührende Erinnerungen ausgetauscht werden.

Verlegung von Stolpersteinen am 8. März 2024

Es ist der 8. März 2024 – Internationaler Frauentag, kurz nach 10.00 Uhr.
„Dona nobis pacem …“ und dann „Hevenu shalom alechem, wir bringen Frieden euch allen …“ – Wir singen, derweil wir warten auf Gunter Demnig, 77, Bildhauer aus Köln. Immer mehr Leute kommen und bleiben stehen bei uns: vorm Haus mit der Nr. 23 an der Schlüterstraße in Dresden-Striesen. Die Musiker sind da, Klarinette und Gitarre, sie spielen leise Melodisches, jüdisch Klingendes. Im Pflaster des Gehwegs vorm Haus sind zwei Steine locker: an ihrer Stelle sollen die Stolpersteine für Julia und Berthold Altmann gesetzt werden.
Das jüdische Ehepaar hatte in diesem Haus bis 1939 seine letzte frei gewählte Wohnung. Viermalige Zwangsumzüge in die Judenhäuser der Stadt folgten u. a. das in der Altenzeller Straße 32, dazu für beide Zwangsarbeit in den Goehle-Werken der Zeiss-Icon AG, und schließlich unter erbärmlichsten Bedingungen das Lager Dresden-Hellerberg – bis zu ihrer Deportation nach Auschwitz am 2.3.1943. Einen Tag nach Ankunft am 3. März 1943 wurden Julia Altmann, 55 Jahre, und ihr Ehemann Berthold, 61 Jahre, ermordet.

Gunter Demnig kommt mit Eimern, Kelle, Fäustel und Besen – und den beiden glänzend polierten neuen Stolpersteinen. Er ist kleiner als vorgestellt, geht etwas gebeugt und in die Knie, um zügig routiniert seine „Arbeit“ zu tun. Brigitte Lange, Gründerin der AG Stolpersteine unserer Gemeinde, begrüßt die vielen Menschen zur feierlichen Verlegung. Ein Team vom mdr Sachsenspiegel ist da. Renate Lauber und Petra Kircheis lesen die biografischen Daten von Julia und Berthold Altmann vor. Gunter Demnig kniet nieder und setzt die beiden glänzenden Stolpersteine ins Pflaster des Gehwegs – leises dumpfes Klopfen seines Fäustels auf die Steine zu Klarinette und Gitarre. Betroffenheit auf den Gesichtern der Umstehenden, ergriffenes Schweigen.
Wir legen weiße Rosen um die Steine herum, das mdr-Team filmt.
In der abendlichen Sendung des Sachsenspiegels sagt Gunter Demnig, dass er längst aufgehört habe zu zählen (es sind wohl mehrere Tausend seit seiner Initiative 1996). Er sei aber jedes Mal aufgeregt „über das Schicksal dahinter …“

Wir sind tief dankbar für die großzügige Kollekte unserer Gemeinde, die die Verlegung der Stolpersteine ermöglicht hat, für die engagierte intensive Recherche und Vorbereitung der AG Stolpersteine mit Brigitte Lange, die die Verlegung durch ihren Initiator in so würdiger, feierlicher Form organisierte.
Und die Sonne schien.

Wir danken Gott – dass wir hier und heute in Freiheit und Frieden leben dürfen.
„Dona nobis pacem …“
„Hevenu shalom alechem …“
Bericht: Petra Hoßfeld

Vortrag 2024: Unsere Nächsten – unsere Nachbarn

Am Abend des 27.1.2024 – dem Holocaust-Gedenktag – fand im Gemeindehaus Sebastian-Bach-Straße 13 ein ergreifender Vortragsabend statt. Die AG Stolpersteine berichtete über ihre Arbeit.

In deren Mittelpunkt stehen die Vorbereitungen zur Verlegung zweier Stolpersteine für Julia und Berthold Altmann am 8.3.2024 in der Schlüterstraße vor der Hausnummer 23, der letzten frei gewählten Wohnadresse des jüdischen Ehepaares.

Zu Beginn berichtete Renate Lauber zu beider Lebensläufe ausführlich und dabei auch über die nötige, äußerst engagierte aufwendige und langwierige Recherchearbeit, sichtlich bemüht um sachlich beherrschten Tonfall angesichts des Ungeheuerlichen.

Im Folgenden zeigte Linda Langheinrich Fotos vom 1942 errichteten Internierungslager Hellerberg und berichtete über die Pieschener Goehle-Werke (Zeiss-Icon AG). Beide Altmanns waren dort interniert und mussten Zwangsarbeit leisten bis zur Deportation nach Auschwitz 1943.

Und Brigitte Lange – Motor und Herz der AG – gab Einblicke in die überaus umfangreiche, gründliche, hochmotivierte Arbeitsweise, die regionale, national und international verfügbare Quellenrecherche einschließt, ebenso wie sie besondere Sensibilität im Umgang mit Nachfahren oder Angehörigen der Opfer voraussetzt. 

Schließlich Petra Kircheis und Manina Dageför, die mit ihren erschütternden Berichten zu Euthanasieopfern der Anstalt Pirna Sonnenstein an den „erweiterten“ Kreis der Opfer der Naziherrschaft erinnerten: Menschen mit Behinderungen, Kranke, Homosexuelle – Menschen „unwerten Lebens“, wie von den Tätern zynisch benannt.

Namens des Kirchenvorstands dankte Pfarrer Dr. Hasse für die so wichtige Arbeit der AG Stolpersteine.
Viele der Zuhörer nahmen anschließend die Gelegenheit zu Fragen und Gesprächen wahr, gaben ihrer Betroffenheit Ausdruck. Nie wieder ist JETZT – Nächstenliebe bewährt sich heute in unser aller Alltag! 
Bericht: Petra Hoßfeld

Es scheint selbstverständlich für uns dieses: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst." 
Unsere Arbeitsgruppe Stolpersteine beschäftigt sich mit der Zeit, als es fast selbstverständlich war, lieber nicht genau wissen zu wollen, was mit unseren nächsten Nachbarn passierte – denen, die nicht ganz deutsch, nicht ganz gesund, nicht ganz konform waren.
Die Stolperstein-Arbeit ist immer eine Arbeit in Demut und Respekt vor denen, die da gelitten haben und ist eine Gratwanderung zwischen Erinnerungskultur und Benutzung sensibler persönlicher Daten!

Der Vortrag am Holocaust-Gedenktag galt unseren Nachbarn:

Julia Altmann, verw. Löwenstein, geb. Levy, wurde am 18.04.1888 in Altenkirchen im Rheinland geboren. In erster Ehe war sie mit Karl Löwenstein in Hameln verheiratet. Dieser starb bereits 1918 an Tbc. Sie hatten zwei Kinder. Der Sohn Richard Werner erblickte das Licht der Welt am 28.12.1911 in Duisburg im Hause seiner Tante. Die Tochter Gerda wurde am 22.07.1913, geboren. Nach dem Tode ihres Mannes war Julia Löwenstein gezwungen, für ihren Lebensunterhalt und den ihrer Kinder selbst zu sorgen. Sie zog zunächst von Hameln nach Altenkirchen, wo sie zwei Jahre lang zusammen mit Kusinen im Geschäft ihrer Tante arbeitete. 1921 zog sie mit ihren Kindern nach Dresden, obwohl sie hier keine weiteren Verwandten hatte. Sie kaufte und betrieb die „Dresdner Kurbelstickerei“ in der Bankstraße 13.

Berthold Altmann wurde am 28.10.1882 in Graudenz in Westpreußen geboren. Er hatte drei Geschwister, die ebenfalls in Graudenz geboren wurden und bei Yad Vashem genannt werden: Rosa Rosam, geb. Altmann (* 1873), Gertrud Altmann (* 1867), sowie Georg Jacob Altmann (* 1885). Die Schwestern lebten in Berlin und wurden 1942 nach Warschau ins Lager Treblinka deportiert, wo sie umkamen. Von 1911 bis 1922 lebte Berthold Altmann vermutlich ebenfalls in Berlin und war als Kaufmann für Häute und Felle gemeldet.

1923 heirateten sie. Die Familie wohnte bis 1935 in der Bankstraße 13. Nach dem Tod der Tochter und dem Verlust des Geschäfts zogen sie in die Schlüterstraße 23. Der Sohn wohnte da schon bei Verwandten in Altenburg in Thüringen. Berthold Altmann wurde bis 1935 in den historischen Adressbüchern als Inhaber des Stickereigeschäftes genannt, welches seine Frau mit in die Ehe gebracht hatte. Später wurde sein Beruf mit Handelsvertreter bzw. Möbelverkäufer angegeben.
In der Zeit von 1939 bis 1942 wurde das Ehepaar zwangsweise in verschiedene Judenhäuser in Dresden eingewiesen – so in die Semperstraße 4, die Amalienstraße 19 und schließlich in die Altenzeller Straße 32. Viktor Klemperer berichtete, dass die Lebensumstände im Judenhaus Altenzellerstraße 32 ausgesprochen hart und grausam waren, da die Gestapo die Bewohner dort mit 19 Hausdurchsuchungen drangsalierte.
1942 wurden das Ehepaar Altmann zu Zwangsarbeit verpflichtet, vermutlich in den Goehle-Werken der Zeiss-Ikon AG. Am 23./24.11.1942 wurden sie dann im nahen Judenlager Dresden-Hellerberg interniert. Schon bei der Gründung stand fest, dass die Bewohner nach der Auflösung des Lagers alle deportiert würden. Am 2.3.1943 wurden Julia Altmann und ihr Mann zusammen mit etwa 350 Gefangenen nach Auschwitz deportiert, wo sie sofort vergast wurden.

Dresdner arbeitsfähige Jüdinnen und Juden mussten schon seit Längerem im Rüstungsbetrieb Goehle-Werke der Zeiss-Ikon AG in der Großenhainer Straße Zwangsarbeit leisten bei der Herstellung von Uhrwerkszündern für die Marine.
1942 beschloss man, diese Zwangsarbeiter in der Nähe unterzubringen. So konnte die Gestapo die Menschen optimal überwachen, die NSDAP-Kreisleitung wollte den Kontakt der Juden mit der sog. arischen Bevölkerung vermeiden und die Zeiss-Ikon AG wollte, dass die Arbeitskräfte ihre wertvolle Energie nicht schon auf dem langen Arbeitsweg verloren. So wurde das Judenlager Hellerberg am Hammerweg errichtet, wo am 23./24. November etwa 300 jüdische Männer, Frauen und Kinder interniert wurden.
Das Lager mit seinen 7 Baracken war bekannt für seine sehr schlechten sozialen und sanitären Bedingungen, der Boden war matschig-morastig oder gefroren von der Kälte. Für die Unterbringung zahlte man 60 Reichspfennig Miete pro Tag und Person an Zeiss-Ikon. Die Kosten für Lebensmittel rechnete das Unternehmen jeweils am Monatsende ab.
Am 27. Feb.1943 wurde den Insassen mitgeteilt, dass sie ab sofort nicht mehr zur Arbeit gehen dürften. Im Rahmen der sog. „Großaktion Juden“ hatte man beschlossen, die Arbeit fortan von Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeiter*innen verrichten zu lassen.
Am 2.3.43 rollten LKWs ins Lager. Auf ihnen wurden die jüdischen Gefangenen zum Güterbahnhof Neustadt gebracht. Von dort erfolgte am frühen Morgen die Deportation nach Auschwitz, wo die meisten vergast wurden. Julia Altmann und ihr Mann Berthold waren unter den Deportierten, beide wurden gleich bei der Ankunft umgebracht.
Der Ort des Judenlagers Hellerberg ist heute eine Brachfläche, nur ein Denkzeichen erinnert daran, welches die Namen der 293 Gefangenen des Lagers aufzählt. Am ehemaligen Goehle-Werk erinnert eine Gedenktafel an die Zwangsarbeit der Juden.

In der Bankstraße 13 in der Dresdner Seevorstadt war die Familie zuhause und hatte ihre Firma dort. Sohn Richard besuchte die nahe Kreuzschule (am alten Standort am Georgenplatz!) und nach dem Abitur wurde er in einem großen Kaufhaus angestellt, Gerda ging ein Haus weiter in die 9. Volksschule und sollte wohl später einmal die Firma der Eltern übernehmen.
Als die Nazis an die Macht kamen, wurde Richard wie alle jüdischen Angestellten entlassen. Er konnte 1936 fliehen und gründete später in Südafrika eine Familie, wie wir aus einem Interview erfahren konnten, das er 1996 der Shoah Foundation der Uni von Südkalifornien gab. Lange suchten wir nach seinen Nachfahren, bis der Kontakt gelang.
Da Richards Enkel James Miller im Begriff steht, einen diplomatischen Dienst in München anzutreten, haben wir die Verlegung der Stolpersteine für Gerda und Richard Löwenstein in der Nähe ihrer letzten Dresdner Adresse (Bankstraße 13) bis dahin zurückgestellt.
Gerdas Schicksal endete dagegen traurig.
„Im Nov. 1923 begann der nationalsozialistische Spuk … ich wurde auf der Straße belästigt und angepöbelt. Die Situation begann, privat u. politisch zu eskalieren.“ – so beschrieb eine Dresdner Jüdin in Gerdas Alter (Jrene Jacoby verh. Brann) ihre Schulzeit.
Gerda litt sehr unter der Situation. 1930 musste der jüdische Vermieter das Haus an die Dresdner Wach- und Schließgesellschaft abtreten. Man kann erahnen, dass das junge jüdische Mädchen Hohn und Drohungen ausgesetzt war, wenn es im Treppenhaus auf die vielen uniformierten Ordnungshüter traf, die dort Büros und Umkleideräume hatten.
Die politische Entwicklung Anfang Februar 1933 konnte ebenfalls in Angst versetzen:

  • Am 30. Januar wurde Hitler Reichskanzler
  • Am 1. Februar löste er den Reichstag auf
  • Am 1. Februar überfallen SA-Leute den SPD-Reichstagsabgeordneten Dr. Löwenstein
  • Am 3. Februar propagierte Hitler offen die „rücksichtslose Germanisierung“
  • Am 4. Februar wurden Versammlungs- und Pressefreiheit beschränkt.
  • Am 5. Februar 1933 nahm sich Gerda Löwenstein mit 19 Jahren das Leben!

Während des Nationalsozialismus in Deutschland war der Holocaust an den Juden die zahlenmäßig größte Vernichtungsaktion. Aber auch andere Bevölkerungsgruppen waren betroffen. Als zweitgrößte Gruppe wurden Kranke und Menschen mit Behinderungen getötet. Auch an diese wird mit Stolpersteinen erinnert, ebenso wie an Homosexuelle, Zeugen Jehovas, Kommunisten, Roma, Sinti und andere Verfolgte.
Wir wollen demnächst für das Gedenken an psychisch Kranke und Menschen mit geistigen Behinderungen sorgen, die in unserem Gemeindegebiet lebten.
Die Gedenkstätte auf dem Sonnenstein in Pirna sagte ihre Mitarbeit gern zu. Auf dem Sonnenstein in Pirna war ursprünglich ein Krankenhaus für psychisch Kranke. Ende der 1930er Jahre wurde der Keller zur Tötung von Menschen umgebaut. Die Ermordung von Kranken war nach der Gesetzgebung des Dritten Reiches illegal. Deshalb wurde die sogenannte „Euthanasie“-Aktion von Beginn an als „Geheime Reichssache“ behandelt und das beteiligte Personal zur Verschwiegenheit verpflichtet. Zur Tarnung behielt die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein den Namen der 1939 geschlossenen „Heil- und Pflegeanstalt Sonnenstein“ bei. Alle Sterbemitteilungen, die das extra in der „Euthanasie“-Anstalt eingerichtete Sonderstandesamt an Hinterbliebene versandte, waren mit dem Stempel bzw. Briefkopf der Heilanstalt versehen. Ende 1941 wurden diese Abläufe für die Bevölkerung von Pirna immer offensichtlicher, so dass der Tötungsbetrieb eingestellt wurde. Im August 1942 wurden fast alle baulichen Hinweise auf diese Verbrechen entfernt.

Die Euthanasie-Opfer kamen teilweise aus dem Landeskrankenhaus Arnsdorf. Deshalb besuchten wir dort das Medizinische Archiv und konnten u. a. das Erinnerungsbuch einsehen. Die am 1. April 1912 eröffnete königlich-sächsische Heil- und Pflegeanstalt Arnsdorf, war auf die Behandlung von psychischen Störungen spezialisiert. Gehörte die Anstalt bis zur Machtübernahme der Nationalsozialisten zu den fortschrittlichsten ihrer Art, so wurden ab 1933 chronisch Kranke schlechter versorgt als Menschen, die als heilbar galten.
Im Mai 2023 wurde in Großschweidnitz eine weitere Gedenkstätte eröffnet. Zwischen 1939 und 1945 wurden dort über 5500 Frauen, Männer und Kinder durch Medikamente, Unterernährung und mangelnde Pflege ermordet. Wir wollen uns im Laufe des Jahres informieren, ob dies auch Menschen betraf, die in unserem Gemeindegebiet lebten.
Abschließend wurde von dem berührenden Schicksal eines Mannes berichtet, für den möglicherweise im nächsten Jahr ein Stolperstein gelegt wird.

Bericht: Renate Lauber, Linda Langheinrich, Brigitte Lange, Petra Kircheis, Manina Dageför

Fahrt nach Theresienstadt im April 2023

Drei der Stolpersteine, welche wir bisher verlegen ließen, waren für Blasewitzer NachbarInnen, die in Theresienstadt ums Leben gekommen sind. Auf ihre Totenscheine stießen wir bei den Recherchen in der tschechischen Holocaust-Datenbank (https://www.holocaust.cz/de/main-3/).

Am Wochenende 22./23. April 2023 fuhr eine Gruppe von 10 Leuten in das heutige Terezín, um Spuren zu suchen und Eindrücke zu gewinnen, wie die letzten Tage dieser Menschen verlaufen waren.

Theresienstadt war ein altes österreichisches Garnisonstädtchen, erbaut gegen preußische Angriffe, ohne je angegriffen worden zu sein. Im Sumpfgebiet der Egermündung teilt der Fluss den Ort in die kleine und die große Festung, beide mit beeindruckenden Mauern. Die kleine diente von alters her als Gefängnis, die große wurde ab November 1941 zum Sammel- und Durchgangslager für tschechische Juden sowie alte und prominente Juden aus Deutschland, Österreich und Ungarn.

Als „jüdische Mustersiedlung“ wurde Theresienstadt 1944/45 für das Ausland in einem Propagandafilm präsentiert, von dem wir Teile zu sehen bekamen. Der komplette Film ist nicht mehr vorhanden. Er wurde bei Kriegsende vernichtet – wie schon gleich nach Drehschluss die Menschen, die man dafür benutzt hatte als Schauspieler, Komparsen und Filmleute. Stellvertretend für alle sei hier der Regisseur Kurt Gerron genannt.

Wir sahen die Räume, in denen die Bewohner zusammengepfercht waren unter lebensverachtenden hygienischen Bedingungen, sahen die Begräbnisstätten, die Zeremonienräume für die Trauerfeiern und das Kolumbarium. Wir sahen aber auch die heimliche Synagoge und in den Museen unzählige Zeichnungen von Künstlern und von Kindern, die neben dem bedrückenden Ghetto-Leben auch Träume von glücklicheren Tagen zeigten.

In frühlingshaftem Grün wanderten wir zum Krematorium – welche Gegensätze!

Mit bewundernswertem Mut füllen heute wieder über 3000 Menschen die Stadt mit Leben. In der „Magdeburger Kaserne“ arbeitet ein Freiwilligenbüro der Pädagogischen Abteilung der Gedenkstätte Theresienstadt (jugendbegegnung.de), das von jährlich wechselnden Freiwilligen aus dem Verein GEDENKDIENST bzw. der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) betreut wird. Hier kann man wegen Unterkunft und Betreuung anfragen. Aber auch im nahen Litoměřice (Leitmeritz) und in Libochovice, wo wir übernachteten, kann man Quartier finden.

Das überlegten wir auf dem Rückweg: Würden Sie/würdest Du einmal ein Wochenende lang in kleiner Gruppe solch eine Gedenkfahrt mitmachen wollen?

Bericht: Brigitte Lange

STOLPERSTEINE für Alexander Jacoby an der Goetheallee 14b und Henriette und Viktor Bodländer an der Kyffhäuser Straße 15

Am 23. September 2022 wurden Stolpersteine für Alexander Jacoby sowie für das Ehepaar Bodländer verlegt.
In der Gotheallee 14b hielt seit dem 22. Juli 2021 ein Blindstein einen Platz für Alexander Jacoby, dem jüngsten Sohn der Familie frei. Er starb 1942 an einer Lungenentzündung. So entging er zwar der Deportation, aber gedemütigt und zwangsenteignet wurde auch er. Prof. Klemperer beschrieb zudem die ärztliche Behandlung als höchst oberflächlich! Ein jüdisches Menschenleben galt damals nicht viel. Das Buch von Jrene Brann „Fremdes beseelt“ zeigt ihren Onkel Alexander beim Taubenfüttern auf dem Neumarkt.

Viktor und Henriette Bodländer betrieben lange in Tarnowitz in Schlesien das väterliche Geschäft. Erst 1931 zogen sie hier in die Kyffhäuser Straße 15. Diesen Weg aus Tarnowitz über Breslau nach Dresden kann man in den historischen Adressbüchern nachverfolgen. Das Haus gehörte ihnen da schon über 10 Jahre, 1940 wurde es zum Judenhaus deklariert. Bodländers wurden wie Jenny Jacoby am 7./8. September 1942 nach Theresienstadt deportiert. Wenige Wochen später starben beide dort.

Bericht: Brigitte Lange

STOLPERSTEINE für Jenny und Johann Jacoby an der Goetheallee 14b

„Stolpersteine sollen auch bei uns an Menschen erinnern, die durch die Nazis gedemütigt, vertrieben und getötet wurden“ – so lautet der Auftrag des Kirchenvorstands an die „AG Stolpersteine“ unserer Kirchgemeinde. Am 22. Juli wurden „unsere“ ersten Stolpersteine an der Goetheallee 14 b verlegt. Wir danken allen, die zur Erforschung der Lebensgeschichten und zur Gestaltung der Gedenkfeier beigetragen haben. Die Beschäftigung mit der Familie Jacoby hat uns zwei Jahre lang begleitet. Den Beginn des Schicksalsjahres 1942 erlebten hier nur noch die Mutter Jenny Jacoby (1856-1942) und die unverheirateten Söhne Johann und Alexander. Über ihr Haus bestimmten schon seit 1940 die Nazis, die ihnen zwangsweise jüdische Familien einquartierten. Im Januar 1942 wurde Johann deportiert, im März erkrankte Alexander und starb. Im September 1942 musste Jenny erleben, wie all ihr Besitz beschlagnahmt wurde, ehe sie 86jährig nur mit Bettsack und Handköfferchen nach Theresienstadt deportiert wurde, wo sie kurz darauf starb.

Verlegt wurden bisher die Stolpersteine für Jenny und Johann Jacoby. Ein Blindstein daneben wartet, dass er im nächsten Jahr durch einen Stolperstein für Alexander Jacoby ersetzt wird, denn gedemütigt und entrechtet wurde auch er!
Die von Klezmer-Musik umrahmte Gedenkfeier beschloss Gil Zohar aus Jerusalem mit dem jüdischen Totengebet Kaddisch, einem großen Gotteslob.
Es endet mit den Worten:

Der in seinen Höhen Frieden stiftet, er schaffe auch uns und ganz Israel Frieden.

Bericht: Brigitte Lange

ZWISCHEN EMANZIPATION UND STOLPERSTEINEN

Die Geschichte einer deutschen jüdischen Familie

weitere Details

STOLPERSTEINE in Blasewitz

Im Juni 2019 gab es in Dresden-Blasewitz nur 3 Stolpersteine. So unterstützte der Kirchenvorstand den Vorschlag von Frau Lange, in den Kirchenbüchern nach Christen jüdischer Herkunft zu suchen. Zugleich erweiterte man jedoch den Auftrag: nicht nur Christen, sondern alle NS-Verfolgten in den Fokus zu nehmen, für die Stolpersteine auf dem Gemeindegebiet gelegt werden könnten.
Bis Ende 2019 hatte eine kleine Gruppe von Damen, welche die alte Schrift noch gut entziffern können, die Kirchenbücher von 1887 (Beginn der Blasewitzer/Striesener Bücher) bis 1945 vorsichtig durchgesehen. Es fanden sich etliche Täuflinge, Konfirmierte und Brautpaare, bei denen für ein Elternteil die Religion „mosaisch“ bzw. „israelitisch“ angegeben war.
Parallel beschäftigten wir uns mit der jüdischen Familie Jacoby. Sie waren Hofjuweliere und in ihrer Werkstatt mit dem Gründernamen „Elimeyer“ wurde die Taufschale der Heilig-Geist-Kirche gefertigt. Ihre Villa im Lothringer Weg 2 gehörte ab 1940 zu den „Judenhäusern“. Hier zogen die Nazis Familien zusammen, die nach ihren sog. Rassegesetzen „Juden“ waren – die Religion der Menschen war dabei gleichgültig.

Die Arbeitsgruppe Stolpersteine ist über ein eigenes Postfach für Hinweise, Anmerkungen und Fragen zu erreichen. Schicken Sie uns einfach eine kurze Nachricht.